Wohin mit Religion und Gott in unserer Gesellschaft?

von Katrin Ziske, Studentin, Hauptfach: Religionswissenschaft

Katrin Wenn von Religion die Rede ist, so fällt uns zuerst das Stichwort „Gott“ ein. Hierbei lassen wir die Kirche zunächst aus dem Spiel. Brauchen wir überhaupt noch einen Gott - und ich spreche von einem übermächtigen, personalen, real existierenden, allwissenden und liebenden Gott. Liebend?

Doch, der passt uns eigentlich ganz gut in unseren Kram- falls es ihn geben sollte. Perfekt! Ein liebender Gott ist toll. Der wagt es nicht, mich in die Hölle zu schicken - falls es eine geben sollte. Ja, so sieht’s aus. Aber mal ehrlich… erstens leben wir in einer naturwissenschaftlich geprägten und aufgeklärten Gesellschaft. Alle Forschungsgebiete basieren mittlerweile auf dem methodischen Atheismus (die weltanschauliche Grundauffassung, dass es keinen Gott gibt). Deshalb gilt bei uns die Vorstellung von einem Gott oder einer Realität außerhalb der uns wahrnehmbaren meist als naiv und veraltet. Zweitens, leben wir in einer Spaßgesellschaft nach dem Motto: „Addicted to party“. Der Moment des Kicks im flackernden Diskolicht alkoholisiert und berauscht von den ohrenbetäubenden Bässen will immer wieder aufs Neue erlebt und verzögert werden. Mal ganz zu schweigen von anderen Glückshormon ausschüttenden Momenten, die sich auf die schnelle mit einem One-Night-Stand hervorrufen lassen. Es ist immer wieder die Suche nach dem Moment der Ekstase, des Rausches, der leider immer viel zu schnell vorübergeht. Die Jagd auf solche Momente kann unsere ganze Freizeit und all unser Wunschdenken in Anspruch nehmen. Natürlich gilt das in erster Linie für die Jugendlichen, die ihr junges Leben auskosten wollen. Ach ja - wie war das da nochmal mit Gott? „Ist doch egal! Wenn es einen Gott gibt, dann liebt er doch jeden und ich komme in den Himmel. Wenn es ihn nicht gibt, dann lass mich doch mein Leben genießen. Was habe ich denn zu verlieren?“ Diese Einstellung ist für die heutige Zeit nicht unüblich. Leider muss ich sagen, scheint hierbei die Vorstellung von Gott wirklich primitiv zu sein, und das seitens der Wissenschafts- und Spaßgesellschaft. Noch schlimmer ist bei genauerer Betrachtung die Vorstellung von dem, was der Mensch ist. Ganz banal und ausgehend vom naturwissenschaftlichen Standpunkt sind wir nämlich nichts anderes als intelligente Tiere. Gleichzeitig spricht unsere Denker- Gesellschaft aber auch von Vernunft, die nur wir Menschen besitzen. Klingt zunächst nicht allzu widersprüchlich. Doch irgendwie fehlt da was ganz gewaltig bei den Tieren. Nicht einmal unsere evolutionär am nahsten stehenden Menschenaffen haben es jemals fertiggebracht, etwas aus eigenem geistig-kreativen Antrieb zu erschaffen. Diese Fähigkeit und noch viele andere besitzt nur der Mensch. Wir selbst jedoch, können ganz schnell zum Tier degradieren. Die Spaßgesellschaft bietet hierfür die optimalen Voraussetzungen. Fortpflanzungstriebe dürfen jederzeit ausgelebt werden. Es darf alles gegessen werden - je geschmackvoller, desto besser. Zunächst einmal nichts Unnatürliches. Der Unterschied ist nur, dass, wenn ein Tier satt ist, es aufhört zu fressen. Der Mensch jedoch, ist so ziemlich das einzige Lebewesen, das vom Überfressen sterben kann. Genauso sieht es auch mit dem Töten aus. Ein Tier tötet aus nahrungstechnischen Gründen oder aus Wehr. Ein Mensch tut dies oft aus Hass, Abscheu, Feindseligkeit, Gier usw... Beweggründe, die keine Grenzen kennen. Das ist das Stichwort: Grenze. Gibt es überhaupt Grenzen im Menschen? Wird er jemals befriedigt sein, für immer? Ich denke, die Antwort ist uns allen bekannt. Nein, der Mensch kann nie vollkommen befriedigt, vollkommen glücklich und zufrieden sein. Wer meint, dies sei möglich, der sollte sich überlegen, woher er diese Illusion hat. Vielleicht aus einem Hollywood- Film? Ganz glücklich sterben- alles ausgekostet, alles erreicht, alles gesehen. Damit sind selbstverständlich in erster Linie leibliche Genüsse gemeint. Das ist es doch, was uns ständig als anerkennungswürdig verkauft wird. Das Profil eines Mr. Perfekt sieht doch folgendermaßen aus: Single sein, sexuelle Erfahrungen sammeln, Konkurrenz im Beruf ausstechen, viel Geld verdienen, ein schickes Auto fahren, und später irgendwann einmal sesshaft werden, d.h. sich eine Frau zulegen, damit man nicht einsam sterben muss. Wahre, aufrichtige und treue Liebe und Familie sind doch irgendwie uncool. Wiederum die Frage: Braucht so ein Kerl einen Gott? Nein, tut er nicht. Er ist sein eigener Mann! Glaube an Gott wäre für ihn ein Zeichen von Schwäche und einem Defizit an selbstständigem Denken. Und jetzt aber mal ganz realistisch gedacht. Es würde etwas eintreten, was jedem von uns passieren könnte. So ein Mann wird todkrank. Er selbst und kein noch so guter Arzt kann ihm jetzt mehr helfen. Gott?- Ja, der ist daran schuld! Der Mann wollte doch ein scheinbar perfektes Leben führen! Leider kommt ein Mensch oft nur in Extremsituationen auf die letzte Idee, sich vielleicht doch Hilfe von einer höheren Kraft erhoffen und erbitten zu können. Gott als letzte Hilfeinstanz in unserem Leben - so zu sagen. Wenn jedoch, solch ein betroffener Mensch bereits seit seiner Kindheit ein verzerrtes Bild und eine komplett verweltlichte Vorstellung von dem hat, was Gott sein soll, dann ist es nicht verwunderlich, dass er in solch einer Lebenslage eher verzweifelt als dass er sich an einen unsichtbaren, in den Wolken sitzenden Mann mit Vollbart wendet. Und wer ist jetzt Schuld an diesem „verzerrten Bild“? Gott?-Wohl kaum. Zunächst die Menschen, die versucht haben, Gott dadurch „greifbarer“ und „verständlicher“ zu machen. Oft wird dieses Gottesbild fast eins zu eins übernommen, und somit zum Anlass für jegliche Art von Kritik und Belustigung gemacht. Im Übrigen ist die Belustigung über Kirche, Religion und Gott eine sehr effektive Waffe, die oft von den Medien genutzt wird, um Menschen Religiosität als Schwachsinn zu verkaufen und das Interesse auf andere Dinge (mit denen man auf die Schnelle den höheren Profit machen kann) zu lenken. Der Effekt solcher Witzchen ist derselbe, wenn mir eine Person, der ich vertraue, eine unwahre peinliche Geschichte über eine mir noch unbekannte Person erzählt. Natürlich bin ich diesem Unbekannten gegenüber reserviert und habe bereits ein mögliches Vorurteil gegen ihn. Im schlimmsten Falle will ich ihn gar nicht erst kennenlernen.

Diese Lenker unseres Zeitgeistes verstecken sich vorwiegend in den Medien, die eine gewisse erzieherische Funktion heutzutage haben. Natürlich spielt auch das Schulsystem eine wichtige Rolle bei diesem Thema. Glaube an Gott wird im Religionsunterricht vorwiegend geschichtlich behandelt und im Biologieunterricht gleichzeitig als irrsinnig abgestempelt. Hierbei ins Detail zu gehen, würde ein neues Problemthema einleiten. Ich versuche nur auf das Dilemma hinzuweisen, in welchem sich ein Schüler/in befindet. In dieser Zwickmühle wird sich ein junger Mensch, der noch das ganze Leben vor sich hat, wohl eher nicht mit den Fragen rund um Gott und Religion weiter beschäftigen wollen. Das will ich nicht verallgemeinern, aber nachvollziehbar ist es allemal, wenn der Gedanke an den Tod verdrängt werden muss.

Es ist wahr, dass wir alle irgendwann sterben müssen - ob reich oder arm, ob Christ oder Hindu. Nach dem Tod sind wir alle gleichgestellt, weil unsere materiellen Güter nun keine Rolle mehr spielen, denn mitnehmen können wir gar nichts außer unserer Persönlichkeit. Sie bleibt nicht auf der Erde in Form von Erinnerungen, die von anderen Persönlichkeiten über uns hinaus interpretiert worden sind, zurück. Unser wahrer seelischer Zustand, der unsere Persönlichkeit in sich trägt, bleibt meist verborgen und kann nicht nur auf unseren Körper beschränkt sein. Genau diese Eigenschaft macht unser Inneres, also unsere Seele, zu etwas Unsterblichem, was wiederum Unendlichkeit mit sich zieht. Dies ist der Grund, warum wir erschaffen wollen und nie durch irdische Güter befriedigt werden können. All dieses Bestreben nach vergänglichen Dingen (Erfolg, Ruhm, Spaß, Geld) kann als eine Ersatzreligion angesehen werden. Jedoch kann der Mensch nicht mit endlichen Dingen seine Unendlichkeit erfüllen. Nur Unendliches erfüllt Unendliches, und dies wäre Gott. Jeder Mensch besitzt eine Seele mit einem freien Willen. Sie kann selbst entscheiden, was sie möchte - selbst ihr eigener Gott zu werden, indem sie versucht, nur durch irdische Güter ihre Erfüllung zu erlangen, oder sich Gott zu nähern. Die Religiosität existiert nicht umsonst im Menschen. Sie äußert sich in verschiedenen Formen (aus diesem Grund gibt es auch verschiedene Religionen). Sie ist kein Schutzmechanismus im Gehirn, so wie es einige Evolutionsforscher behaupten. Der Evolutionstheorie zufolge, überlebt das physisch stärkere Lebewesen, welches sich der Umwelt körperlich am besten anpasst. Wozu dient dann die Religion? Wir könnten physisch gesehen auch ohne sie auskommen. Anscheinend gibt es da doch noch ein anderes Bedürfnis im Menschen - einen viel tieferen und gar unersättlichen Aspekt, der sich mit der Evolutionstheorie nicht erklären lässt. Wie bereits erwähnt: es gibt nur eine Wahrheit - entweder es gibt einen Gott oder es gibt ihn nicht. Atheismus ist aber auch nur ein Glaube, weil er keinen Gegenbeweis für die Existenz Gottes liefern kann.

Die Religiosität in uns ist da, und sie muss richtig genutzt werden. Oft kommen Menschen durch viel Lernen, Nachforschen und Denken zum Glauben an Gott. Viele aber auch rein intuitiv, weil sie dieses Bestreben nach der Wahrheit nicht unterdrücken oder umleiten. Vielleicht sollten wir uns ab und zu die Zeit nehmen, um das ganze Geschehen um uns herum aus der Vogelperspektive zu betrachten. Vielleicht sollten wir auch mal tiefer in uns hineinsehen, um zu verstehen, warum wir so sind, wie wir sind. Genau dafür existiert die Religion, die Antworten geben kann und auf jeden Fall ernst genommen werden muss.